Kantonaler Richtplan Energie
Der Ausbau der erneuerbaren Energien scheint nach jahrzehntelanger Blockade endlich voranzugehen. Leider und unnötigerweise wird aktuell der Ausbau in Graubünden auf Kosten der Natur geplant. In Graubünden produzieren wir vier Mal mehr Strom, als was wir verbrauchen. Wir stellen uns daher die Frage, ob Graubünden tatsächlich zu einem reinen Energieproduktionskanton verkommen soll, oder ob wir weiterhin Platz für intakte Landschaften und unberührte Natur als Kapital für Tourismus, Landwirtschaft und Bevölkerung haben wollen.
(Armando Lenz)
Aktuell liegt der Richtplan zum Kapitel Energie des Kantons zur Vernehmlassung öffentlich auf – jeder kann sich dazu äussern. Doch was ist der Richtplan überhaupt und wieso ist dieser wichtig? Im Richtplan wird festgelegt, welche Flächen des Kantons wie genutzt werden sollen, mit dem Ziel, diese Nutzungen aufeinander abzustimmen. Er ist verbindlich für die Behörden und wird in der Regel alle 10 Jahre überarbeitet. Im Richtplan Energie wird also festgelegt, wie der Kanton Graubünden die erneuerbaren Energien ausbauen möchte, und welche Flächen er dafür in Anspruch nehmen möchte.
Ausgangslage
Graubünden produziert pro Jahr ca. 8.5 Terawattstunden (TWh) an elektrischer Energie. Eine TWh deckt den jährlichen Stromverbrauch von ca. 200'000 bis 550'000 typischen Haushalten in der Schweiz. Der Grossteil des Stroms wird aus Wasserkraft gewonnen, während Solar- und Windenergie vernachlässigbar sind (Abb. 1, Tabelle 1).
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Tabelle 1: Vergleich des geplanten Ausbaus der erneuerbaren Energien Wasserkraft, Sonnenenergie und Windenergie im Kanton Graubünden.
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Abb. 1: Ausbauziele Richtplan und die Einschätzung von Pro Natura dazu
Wasserkraft
Die Wasserkraft ist praktisch vollständig ausgebaut. In Graubünden sind alle grossen Talflüsse durch die Wasserkraft negativ beeinflusst. Kein Wunder, gehören die Gewässer zu den am stärksten bedrohten und belasteten Ökosystemen in der Schweiz. Trotzdem sieht der Richtplan einen beträchtlichen Ausbau der Wasserkraft vor. Im Richtplan sind weiterhin viele alte Projekte gelistet. So zum Beispiel die Überleitung Lugnez, welche vom Bundesgericht abgelehnt wurde, oder die Stauung der Val Curcuisa, welche laut dem Gutachten der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission von 1994 als nationale Landschaft geschützt werden müsste.
Wir fordern, dass die bestehende Wasserkraft zwar erhalten, aber gleichzeitig nach den gesetzlichen Pflichten ökologisch saniert werden soll. Neue Kraftwerke sind nicht sinnvoll. Wir bieten Hand zu sinnvollen und effizienten Erneuerungen und Erweiterungen, wie etwa im Rahmen des nationalen runden Tisches für Speicherstrom. In Graubünden betrifft dies die Stauraumerhöhungen Marmorera und Curnera/Nalps.
Solarenergie
Die Solarenergie kann auf bestehender Infrastruktur biodiversitätsfreundlich ausgebaut werden. Das Potenzial auf Dächern ist riesig (siehe Tabelle). Dazu kommen noch Flächen über Parkplätzen, Autobahnen oder Zugstrecken. Der Richtplan sieht auch vor, dass Solarstrom prioritär auf bestehender Infrastruktur und nur in Ausnahmefällen in stark vorbelasteten Gebieten auf Freiflächen produziert werden soll. Grosse Freiflächenanlagen sind nicht nötig und können der Landschaft und Biodiversität schaden.
Windenergie
Auch die Windenergie schneidet bei der Biodiversitätsbeurteilung eher mittel ab. Windturbinen haben, je nach Standort, ein grosses Schadenspotenzial für Vögel und Fledermäuse. Im Richtplan sind für die Windenergie 25 Gebiete mit einer Fläche von rund 185 km2 reserviert. Dies übersteigt den nötigen Ausbau um ein Vielfaches. Wir fordern deshalb, dass der grösste Teil der Gebiete gestrichen wird.
Naturverträgliche Energiewende
Für die naturverträgliche Energiewende müssen wir die Biodiversität bei allen Massnahmen mitdenken. Als erstes muss die unglaubliche Verschwendung an Energie gestoppt werden. Wir verschwenden rund ein Drittel unserer Energie, z.B. in schlecht isolierten Häusern oder mit Elektroheizungen. Diese können wir einsparen und gewinnen dabei noch an Komfort. Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Graubünden muss dann vor allem durch Solarenergie auf bestehender Infrastruktur geschehen. Die Wasserkraft soll nicht ausgebaut werden, nur die beiden am nationalen runden Tisch besprochenen Wasserkraft-Speicherprojekte Marmorera und Curnera/Nalps sollen verfolgt werden. Der Ausbau der Windenergie soll in Graubünden nur in sehr wenigen Gebieten vorangetrieben werden, da wir bereits jetzt genügend Bündner Strom aus erneuerbaren Energien produzieren.
Zum Weiterlesen
https://energiewende2035.umweltallianz.ch/
Boulouchos K, Neu U et al. (2022) Schweizer Energiesystem 2050: Wege zu netto null CO2 und Versorgungssicherheit. Grundlagenbericht. Swiss Academies Reports 17 (3)